Rainer und seine "Fratz"

17.03.11

 

 

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Rainers Jollenabenteuer um Rügen

Text von Rainer Enßlin

Es war eine Spontanidee. Ich sah im Winter - noch intensiv mit der Moderbekämpfung am Boot beschäftigt - zufällig einen Fernsehbericht über die Rundfahrt einer kleinen Gruppe von Hobycatseglern um Rügen. Der Bericht machte schwer auf Lagerfeuerromantik mit Zelten am Strand, wunderbarem Sonnenuntergang und kernigem Küstensegeln. Einfach Traumhaft! Das war wieder so ein Bericht von den Schönheiten unserer Welt, bei dem man unmittelbar das Träumen anfängt, irgendwann auch mal selbst.....Und später hockt man gemütlich im Sessel und beneidet die anderen leise um ihren Spaß.

Doch diesmal musste ich mir eingestehen, dass diese Reise tatsächlich im Rahmen meiner Möglichkeiten wäre: Boot steht im Schuppen, Wasser kostet nichts und Rügen ist nun nicht gerade am anderen Ende der Welt. Was also sollte mich abhalten? Hic Rhodos, hic salta.....

Hmm,....mit der Jolle auf die offene See? Einem 45 Jahre alten Holzkahn, dem der Fäulnispilz ein alter Vertrauter ist und der ehemals für die lauen Chiemseewinde als Jugendboot konstruiert wurde? Mit meiner ärmlichen Seeerfahrung? Aber eigentlich: warum nicht? Und hat sich Fratz bisher nicht immer als äußerst windfest erwiesen? Ich denke da nur an die paar guten Regattaergebnisse, die sich immer erst ab 6 Beaufort einstellten und die Freude, die das Schiff auch noch bei 7-8 bringt - wenn alles hält, ja wenn......

Flugs wurde die Bedenken als lusttötend abgetan und die Idee meinem guten Freund Carsten mitgeteilt, der sofort begeistert war. Woher sollte er auch Bedenken nehmen? Carsten ist kein eigenständiger Segler, er begleitet mich seit Jahren immer mal wieder als Vorschoter auf dem Müggelsee und auch mal zu einer FKY-Regatta. Bevorzugt natürlich, wenn es richtig stürmt und er sich im Trapez verlustieren darf. Wenn Carsten mitkommt, stürmt es übrigens auffallend oft. Und die eine Kenterung, damals, allein auf dem See unter Spi abends im Gewitter, fand er eher spannend als gefährlich. Auf See war er noch nie, zumindest nicht mit einem Segelboot. So blieb ihm also nichts als blindes Vertrauen und Lust auf Abenteuer.

Die Ehefrauen wurden natürlich auch in das Vorhaben eingeweiht, wir sind ja nicht so.... Bei der Seinigen lag unser Vorteil eindeutig darin, dass sie noch nie auf einer Jolle unterwegs war und sich überhaupt keine Vorstellung von unserem Vorhaben machen konnte. Meine Liebste (mit Segel- und Kentererfahrung) wagte es gar nicht erst, den Gedanken zu vertiefen. Sie fragte nur, ob sie denn überhaupt etwas dagegen machen könnte.

Die Sache war also beschlossen!

Später im Jahr, als das Boot nach wieder einmal viel zu langem Sägen und Schleifen zu Wasser gelassen war, geriet das Vorhaben aus Gründen, die ein Herr Dr. Freud sicher zu meinen Ungunsten gedeutet hätte, ein wenig in Vergessenheit. Skeptische, nein - um bei der Wahrheit zu bleiben - warnende Einwände altgedienter Segler meines Vereins vertieften das Vergessen.

Doch plötzlich kam Carsten mit seiner Urlaubsplanung und tat, als ob ich ihn erst am Vortag zu der Aktion gedrängelt hätte. Da blieb kein Ausweg mehr offen, es sei denn, ich ließe mein sorgsam aufgebautes Image als furchtloser Skipper leiden. Und immer nur in der ersten Reihe sitzen?

Dann wurde noch mein Patenkind Janek, Carstens Sohn, in die Abenteuertruppe aufgenommen, 13 Jahre alt und immerhin auch schon zweimal mit dem Boot gesegelt.

Irgendwie wurde es also Ernst. Ich überprüfte alle beweglichen und möglichst nicht so beweglichen Teile an Bord und machte mir Gedanken, wie man Gepäck für drei Personen und 1 Woche an Bord einer schlanken 6-m-Jolle verstaut (innen deutlich kleiner als eine H-Jolle). Und wie viel das überhaupt sein wird. Dafür mussten erst einmal die großzügig dimensionierten Auftriebskörper im Bug verkleinert werden. Die kleineren im Heck und an den Seiten sollten unbedingt bleiben. Man weis ja nie. Zusätzlich brachte ich Halterungen neben der Mastspur an, um Gepäck auch auf den vorderen Bodenbrettern verzurren zu können. Alles sollte nach Möglichkeit kentersicher werden und das Gepäck nah am Schwerpunkt liegen. Und die ewig undichten Seitenauftriebskörper wollten endlich dauerhaft repariert werden.

Und wie übernachtet man zu dritt in einer Jolle? Also war erst einmal Probeliegen angesagt. Die Füße von Vater und Sohn mussten irgendwie durchs Achter bzw. Bugschott, was dann auch bei stark eingeschränkter Bewegungsfähigkeit klappte. Als Skipper beanspruchte ich natürlich eine Seite für mich. Außerdem musste noch eine leichte Regenplane her, vorn und hinten offen. Die schwere Stoffpersenning hätte zuviel Gewicht und Platz beansprucht und liegt zu flach auf dem Boot auf.

Dann wurden Seekarten, wasserdichte Kartenhüllen und Peilkompass angeschafft. Für den Seesegler banale Dinge, für mich fast die Vorbereitung auf eine Atlantiküberquerung mit ungewissem Ausgang. Auch die Navigations- und Seefahrtsregeln wollten aus ihrem tiefen Dämmerschlaf geweckt werden - oh, wo stehen bloß die alten Lehrbücher und Aufzeichnungen? Rote, grüne, gestreifte Tonnen, Untiefen, Hupsignale - Sperrgebiete gibt´s da auch noch - Oh weia! Die zunehmende Spannung wich nicht selten einem stressigen Unwohlsein. Wenn das mal gut geht...

Zwischendurch schmökerte ich noch in einem Fahrtenbericht von Herrn Erdmann (Dickschiff- und Weltumsegler), der 1990 mit einem Zugvogel an der Ostseeküste entlang segelte. Betrachtet man die Fotos, wie er doch sehr unbeholfen auf der Jolle (Zugvogel) sitzt und trotzdem ohne nennenswerten Schaden, selbst ohne Kenterung auch um Rügen herum kam, dann kann das wohl wirklich nicht so gefährlich sein.

Schließlich, nachdem auch die letzten Probleme mit der technischen Überprüfung des Trailers und der Zulassung der neuen Hängerkupplung am Zugfahrzeug überwunden waren (wie immer nur Stunden vor der geplanten Abfahrt), ging die Fahrt nach Altefähr, gegenüber von Stralsund. Während der Fahrt wieder bohrende Zweifel am Sinn des ganzen Unterfangens. Wie viel Mut tut gut?

Abends angekommen, kamen wir gerade noch vor Dienstschluss des Hafenmeisters mit Boot und Auto in den Hafenbereich. Nach dem Abendessen wurde schon mal aufgeriggt. Wie im weitern Verlauf der Reise wurde uns immer wieder das Zelten im Hafenbereich erlaubt, immer mit dem dezenten Hinweis auf die Dienstzeiten der örtlichen Polizeistreife. So musste zum Glück nie die Härteprobe mit drei Leuten im Boot gemacht werden.

Da morgens das Boot fertig aufgeriggt noch auf dem Trailer vertäut lag, am Auto hing und wir noch mit Frühstück und Auspacken beschäftigt waren kam die erstaunte Frage eines Touristenpärchens, wie wir denn mit dem hohen Mast den Weg von Berlin gekommen wären und ob die Brücken jetzt alle so hoch seien. Verdutzte Gesichter, Lachen, erste Entspannung. Eine Ahnung von Urlaub schwappte sogar bis zu mir herüber..

Zum Abslippen stieg der Hafenmeister persönlich im Neoprenanzug ins Wasser, damit wir nicht auf der glatten Slip ausrutschen. Weil wir das Schiff erst morgens ins Wasser gebracht hatten, mussten wir noch nicht einmal Hafengebühren zahlen. Als Berlin-Bürger war ich bei so viel Freundlichkeit sprachlos. Und um 11:00 Uhr waren wir unter Segeln. Zwar noch im Bodden, doch in Fahrt.

Alles Gepäck, das im Auto noch so unendlich platzraubend schien, hatte seinen Platz gefunden, die Plicht war frei und alle wichtigen Dinge waren in Griffnähe. Fratz nahm bei 2-3 WS langsam Fahrt auf, lag schön am Ruder und hatte auch sonst keine Überraschungen auf Lager. Mir als altem Katastrophenhypochonder fiel einer der größten Steine vom Herzen, die ich mit mir herumtrug. Wo ist der Wassereinbruch, wieso ist die Want immer noch fest, fehlt immer noch nichts?

Die Mannschaft wurde dann erst einmal in den Gebrauch von Peilkompass und Seekarten eingeweiht. Welche Bojen sind wo zu passieren und wer muss wem ausweichen. Der Kurs wurde zur Ostküste von Hiddensee abgesteckt. Die erste Überraschung für uns Binnensegler waren die optischen Verzerrungen, wenn ein Boot gerade über dem Horizont auftauchte. Da kamen Jugendkutter plötzlich wie riesige Schoner daher. Und bei etwa 50 cm Kopfhöhe über dem Wasserspiegel mussten die Boote dazu noch nicht einmal weit weg sein. Für uns wurde schon der Bodden zum endlosen Ozean.

Bei starkem Wochenendverkehr kreuzten wir gegen Neuendorf an und erreichten den Hafen zusammen mit einem weiteren Jollengespann - zwei Jollen mit Ehepaar, 5 Kinder und ein Hund, die fürs Wochenende kurz mal nach Hiddensee rübermachten. Noch mehr Verrückte, oder sehe ich einfach nur Gespenster?.

Abends überquerten wir die schmale aber wunderschöne Insel, gingen ausgiebig baden und machten uns mit dem Anblick der echten Ostsee vertraut. Nicht vergessen werden darf hier die Erwähnung der peinlichen optischen Umweltverschmutzung (so meine Mitsegler) die ich mit meiner Plastiktüte für meine Badesachen auf unserer anschließenden kleinen Inselwanderung verursachte.

Nachts versuchte ich diesmal, Carstens nächtlichen Atemwegsvibrationen und der Enge des kleinen Zeltes durch eine Übernachtung im offenen Boot zu entgehen. Als aber ab 4:00 Uhr morgens die Mücken ihr Frühstück auf mir einnahmen, entschloss ich mich, zukünftig doch wieder das Zelt zu nehmen.

Am nächsten Tag steuerten wir Cap Arkona an. Die Fahrt ging zuerst durch z. T. sehr enge Fahrwasser, denn die außerhalb liegenden Untiefen waren auch für unseren Tiefgang nicht befahrbar. Nur zu gut erinnerte ich mich an meinen Abgang aus dem Trapez, als wir im Schaproder Bodden mal vor Jahren in voller Fahrt einen Findling trafen.

Es war dann schon eine besondere Herausforderung, an einem schönen Sonntag ohne Motor durch einen oft nur knapp 30 m breiten Schlauch auf zu kreuzen, während die halbe Ostseeküstenflotte unter Motor dort entlang rauscht. Meine beiden Mitsegler machten den Ausguck und ich entschied dann zwischen "weit weg", "erst mal kommen lassen", "nah", "ganz schön nah" und "zu nah", wobei die Beiden meist andere Auslegungen parat hatten: "echt nah", "zu nah", "nun aber wirklich zu nah" und "eeehhy".

Aber ganz im Gegensatz zu unserem Revier am Müggelsee waren selbst die Motorbootfahrer ausgesprochen kooperativ und riefen sogar - ich traute meinen Ohren nicht - freundliche Grüße herüber. So erreichten wir bei 2 Windstärken die offene See. Die allgemeine Spannung wuchs zunehmend und je weiter und offener der Horizont wurde, desto mehr fühlten wir uns wie wahre Entdecker. Zudem am Horizont diverse Schoner und ein russisches Vollschiff die Optik eindrucksvoll vollendeten. Zeitgleich war eine große Traditionsregatta.

Dann blieb der Wind weg. Scheinbar ewig dümpelten wir in der Dünung, die Luft wurde immer heißer und die Sonnencreme war begehrtestes Gut. Bis.....bis die Aufmerksamkeit zunehmend der Medizinschatulle zuteil wurde. Langsam wurden meine Beiden ein Opfer der Dünung. Fratz ließ keine noch so kleine Welle aus und tänzelte fröhlich was das Zeug hielt. mit schlagenden Segeln setzte er unseren Mägen tüchtig zu.

Als dann endlich wieder etwas Wind kam und wir unter Spi zügig auf Kap Arkona zuliefen, kannte meine Begeisterung kein Halten mehr. Kap Arkona, mein persönliches Kap der Guten Hoffnung! Aber Janek hatte nur noch einen kurzen müden Blick übrig und versank augenblicklich wieder in Agonie.

Mit sinkender Sonne und wieder zunehmendem Wind rauschten wir durchs Tromper Wiek auf Glowe zu. Der riesige Strand reizte aber außerordentlich, so dass wir - statt den Hafen anzusteuern - weiter westlich auf das Sandufer liefen. Schließlich waren wir ja auch wegen der Lagerfeuerromantik gekommen. Aber eine Holzjolle mal eben so auf den Strand ziehen war gar nicht so einfach. 350 kg wollen erst einmal bewegt werden. Mit vielen Schaukelbewegungen gelang uns nach etwa 15 min schließlich, was die Katamaransegler im Film so schnell mal eben nebenbei machten. Sicherheitshalber vergrub ich aber tief im Sand noch einen Anker.

Umso größer mein Entsetzen, als ich das Boot morgens um fast 30 m seitlich versetzt in der Brandung schwanken sah. So früh und schnell war ich noch nie aus dem Zelt raus.

Fratz lag mit dem Heck in der Dünung, die Wellen schlugen über das Deck ins Boot und die Szenerie erinnerte nur allzu sehr an einen gestrandeten Wal. Mein Fratz lag im Sterben! Mit dem ganzen Wasser im Bauch und dann auf dem Sand hin und her geworfen, das kann die Struktur doch gar nicht vertragen. Und wie vermutet hob und senkte sich die gesamte Bodenpartie mit jeder Wellenbewegung um fast 10 cm. Die Bodenbretter wippten und der Schwertkasten schien wie mit Kaugummi befestigt.

Als das Wasser raus und das Boot wieder auf Land gezogen war, fühlte ich mich, als ob mir ein Boxer die Eingeweide zerknautscht hätte. Aber die Suche nach Brüchen verlieft zum Glück ergebnislos. Nur der Boden schien nach wie vor aus einer Art Gummimasse zu bestehen. Dazu muss man sagen, dass ein Schratz keinen Jollenkiel im herkömmlichen Sinn hat, sondern lediglich ein zollstarkes Gabunbrett als Boden vorzuweisen hat, auf das dann die Planken aufgesetzt werden. Ähnlich wie ein Angelkahn. Richtig formstabil ist das eben nicht.

Nach dem völlig appetitfreien Frühstück (den Beiden ging es dagegen wieder prächtig) zeigte sich Fratz - sobald er freies Wasser unterm Schwert hatte - wieder bestens aufgelegt. Mit vier WS ging es auf einem Raumschotkurs gen Süden, vorbei an den Kreidefelsen. Um meinen beiden Leidensgefährten den Griff ins Medizinköfferchen zu ersparen wurde auch gleich der Spi gesetzt, was die Rollbewegungen deutlich verringerte. Dafür war nun bei etwa eineinhalb Meter Welle volle Konzentration an der Pinne gefordert, was Janek am Ruder für eine Stunde seinen bereits wieder etwas flauen Magen vergessen ließ (Mein Magengefühl wurde mit wachsendem Vertrauen in die "Restfestigkeit" des Bootes wieder besser). Aber selbst er merkte schnell, dass jetzt ein Schuß in die Sonne intensiven Wasserkontakt bedeutet hätte. So wurden mir die Schwimmwesten geradezu aus der Hand gerissen, als ich sie einer späten Eingebung folgend wortlos aus dem Achterluk holte.

Fratz schoss in unvergleichlichem Gleitflug die langen Wellen runter, um sie dann mächtig schaufelnd wieder zu erklimmen. Offensichtlich wollte er die seltene Gelegenheit der offenen See richtig auskosten. Man fühlte aber geradezu physisch, wie Rigg und Rumpf unter dem ungewohnten Zusatzgewicht litten und beim Abbremsen leise, merkwürdig knarrende und klagende Laute von sich gaben. Vorbei an Sassnitz und Prora nahmen wir den Spi runter und liefen mit mehr Höhe Binz an - wir mussten Einkaufen. Bei dem Wind normalerweise ein zappeliger Trapezkurs, hockten wir mit unserem Gepäck als Behelfskiel ganz entspannt auf der Seite und pflügten am Wind wie auf Schienen durch die See. Das Boot erwies sich auch gegenan als unerwartet wellengängig und sicher. Langsam fasste ich wieder volles Vertrauen zu meinem Kaugummi-Fratz.

Binz hatte keinen Steg in unserer Größenordnung (es ei denn, wir hätten mit der Mastspitze an der Freibrücke festgemacht) und am ohnehin jetzt ungeliebten Strand gab es keinen freien Quadratmeter mehr. Und mit vier WS durch die badende Menge wäre auch nicht so gut angekommen. So segelten wir weiter bis Thiessow auf Mönchsgut. Wieder unter Spi vor sechs Uhr ankommen rauschten wir weiter nach Süden und betrachteten ungläubig die Horden von Urlaubern an den Stränden, die uns wie aus einer anderen, irgendwie unterprivilegierten Welt vorkamen.

Beim Aufkreuzen auf den Greifswalder Bodden ließ der Wind dann nach und uns kam eine sehr kurze steile Welle entgegen. Die erste fürs Boot offensichtlich unschöne Belastung (zumindest im Wasser). Legte man es auf die Seite, knallt es ziemlich brutal gegen die steile Rumpfflanke, fuhr man aufrecht, macht sich der flache Boden als ebenso ungeeignet bemerkbar, das Boot stampfte - ja knallte sich fest. Und der Skipper litt schon wieder.......

Der Hafen von Thiessow war eng, verwinkelt, windig und voll. Um manövrierfähig zu sein - zum paddeln war zuviel Wind - kreuzten wir unter vollen Segeln wie toll durch jede Ecke um nach einem Platz zu suchen. Dann wieder raus, Segel bergen und mit Backstagsbrise zum erwählten Päckchen an einen 20er Jolli treiben lassen. Vorher gab es noch genaue Instruktionen zu den Manövern, man steht in dem Fall ja unter besonderer Beobachtung. Dann hakte aber das Segel beim Bergen und so boten wir dann doch etwas fürs wohlige Selbstbewusstsein der Zuschauer.

Abends - wir kochten gerade etwas abseits im Hafen sitzend - kam ein alter Mann mit junger Frau vorbei, betrachtete Fratz und suchte nach dem Besitzer. Als er uns fand, fragte er vorsichtig nach dem Bootstyp. Bei dem Wort Schratz hellte sich sein Blick auf, war geradezu entzückt, so einen noch so gut erhalten zudem im Norden zu sehen und beglückwünschte uns. Es schien ihm allerdings völlig natürlich zu sein, mit dem Boot auf der Ostsee zu fahren. Er stand dann noch eine Weile vor dem Boot und wir hörten Gesprächsfetzen, wie er seiner Liebsten Geschichten von damals erzählte  ...Gewitter am Chiemsee....aussichtslose Lage....super Boot.....hätte keiner gedacht.... Na, da hüpfte aber bei einem von uns das Herz.

Die Mannschaft freute sich dagegen auf einen Tag Pause und Landgang auf Mönchsgut. Beschämt verbarg ich rotgebranntes Fleisch unter langen Hosen während ein unglaublich vitaler Herpes Ober- und Unterlippe gleichermaßen umfassend in Besitz nahm und meinen Sorgen um das Gelingen unseres Abenteuers öffentlichen Ausdruck verlieh.

Mönchsgut war dann das totale Kontrastprogramm: Grüne Wiesen und Wälder in sanfter Hügellandschaft soweit das Auge reicht, durchbrochen von zahllosen blauen Wasserbuchten mit Schilfgürteln. Ein Bild purer romantischer Schönheit. Und obwohl wir vorher halb Deutschland an den Stränden liegen sahen, offenbarte sich uns eine einsame und zeitlos schöne Landschaft.

Abends wurde dann wieder die Kombüse auf dem Hafenasphalt, zwischen Netzen, aufgebockten Booten und alten Traktoren eröffnet. Bordsteine und eingerollte Schlafsäcke dienten wie immer als Sitzgelegenheit. Gegessen wurde aus dem Topf, den Carsten trotz eingeschränkter Möglichkeiten immer wieder hervorragend füllte. Auf Dauer ist das nicht gerade gemütlich und besonders würdevoll wirkt man auch nicht. Dagegen muss ich sagen, dass ein Tag auf der Jolle eine ausgesprochen gemütliche Angelegenheit ist. Man flezt sich bei mäßigen Winden mehr liegend als sitzend herum, hat die Füße auf Augenhöhe und bestimmt kein hartes Süllbord auf Nierenhöhe im Kreuz. Dafür verschläft die auf weichen Sitzpolstern gebettete Mannschaft mitunter den halben Tag. Nur im Hafen, da kommt dann schon ein wenig Neid auf die größeren Pötte auf.

Am nächsten Tag ging es dann wieder weiter, der Ausgangshafen wollte erreicht werden. Diesmal wurden die Hafenmanöver noch sorgfältiger geplant, alle Technik nochmals gecheckt und wir verließen Thiessow souverän als eingespieltes Team. Mitten in der leisen Freude über das gute Manöver verließen wir die Fahrrinne um wenige Meter und bumms - ein Stein! Na ja.....

Der Wind blies von Westnordwest und so wollten wir erst einmal einen Süd-Schlag auf den Greifswalder Bodden machen, um dann mit einem langen Anlieger in den Strelasund einzulaufen. Dann blieb der Wind weg, gerade als wir schön weit draußen waren. Eine Stunde warteten wir, während wir langsam auf die Ostsee zurückgetrieben wurden. Ohne Motor keine so schöne Situation, also wurden die Paddel ausgegeben. Nach einer weiteren Stunde dann das erste Kräuseln - von achtern. Die Götter hatten es wieder mal gut mit uns gemeint.

Die Mannschaft legte die Paddel beiseite, machte es sich bequem und ließ die nächsten Stunden verdächtig regelmäßige Atemgeräusche vernehmen. Unter Spi glitten wir langsam gen Westen und nach und nach frischte es bei glattem Wasser zu einer wunderschönen 3 auf. In dem Bewusstsein, vielleicht nie wieder mit Fratz eine so lange Strecke unter Spi zurückzulegen, versank ich völlig in schwärmerische Verzückungen - ganz im siebten Seglerhimmel - und hätte darüber beinahe noch eine einsame Boje gerammt.

Im Strelasund kam es nochmal ziemlich dicke. Erst passierte uns ein riesiges Containerschiff, dessen enorme Bugwelle ich sanft schräg von hinten durchlaufen lassen wollte. Sie kam dann aber doch irgendwie anders, nämlich von der Seite, was eine recht heftige Schaukelei bewirkte. Rein gefühlsmäßig muss der Verklicker innerhalb einer Sekunde wohl auf beiden Seiten einmal kurz aufs Wasser getitscht sein. Wanten sei dank, der Mast blieb oben. Dann kam noch die Brücke vom Rügendamm. In der Karte mit 8 m verzeichnet (Fratz hat so 7,3 m) waren es am Ende doch wohl nur 6 m (wie schon der Hafenmeister vermutete). Zuerst glaubten wir an optische Täuschung, aber 2 m vor der Durchfahrt wurde klar, dass da was nicht passt. Heftiges Krängen war also angesagt. Die Mannschaft wurde durch mein Ausreiten natürlich erst mal zu einem instinktiven Gegentrimm veranlasst, so dass in der Kürze der Zeit nur ein etwas gewaltsam erzwungener Gewichtstrimm aller Teilnehmer zur erwünschten Schräglage verhalf. An diesem Tag hatte der Mast wohl drei Leben. Und Janek bekam auch schnell wieder Luft, nachdem ich ihn nur über einen entschlossenen Griff am Kragen zum Austrimmen nach Lee bewegen konnte.

Wehmütig liefen wir dann Altefähr an und bereiteten das Boot wieder für die Autofahrt vor. Irgendwie hatte man den Eindruck, als ob man am Vortag noch hier war. Das große Unwetter blieb aus und die Wellen waren trotz immerhin 1,5 m geradezu harmlos. Gefahren lauerten an ganz anderen Stellen. An Land, unter Brücken und bei Schiffen, die irgendwie nicht in das sonstige Größenspektrum passen.

Vermutlich hätten wir auch bei 6 WS noch problemlos segeln können, aber im Nachhinein frage ich mich, wie lange dieses alte Holzboot mit seinen ausgeleierten Nieten und seinem zigmal abgezogenen Mast einer solch untypischen Beanspruchung wohl standhalten würde.

Am guten Ende aber wird mir diese kleine glückliche Reise mit dem vertrauten Boot eine unvergessliche und absolut einmalige Erinnerung bleiben, deren schönste Momente leider durch die Sorge um das Gelingen oft erst mit der Zeit richtig zur Geltung kamen.

Berlin, 04.03.2004

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